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Pfarramt Bütschwil-Mosnang 1989 bis 1995

Ich musste schlieslich wählen zwischen Bütschwil und Alt St.Johann. In beiden Gemeinden habe ich mich vorgestellt, beide hätten mich genommen. Ich entschied mich für Bütschwil wegen der grösseren Nähe zu Wil, zu St.Gallen, Zürich und Basel - denn ich wollte ja noch mein Philosophiestudium weiter pflegen. Bütschwil-Mosnang war seit zwei Jahren vacant. Das waren gute Voraussetzungen. Man war froh, endlich wieder einen Pfarrer zu haben. So ging man auch auf meinen Wunsch ein, mich nur zu 70 Prozent anzustellen. Die andern 30 Prozent übernahm Gottlieb Bösch, der vor mir schon die Vertretung gemacht hat. Gottlieb war eher für Mosnang, ich für Bütschwil zuständig. Allerdings war das Konzept eher ungeeignet für einen Start als Pfarrer und im Pfarramt. Ich musste und wollte sowieso alle Leute kennen lernen und hätte mich daher von Anfang an gleich 100 Prozent anstellen lassen können.
Im August 1989 war Arbeitsbeginn. Ich zügelte meinen «Plunder» von Basel nach Bütschwil - zwei Autofahrten, Samuel Kutter hat mir dabei geholfen. Ein ganzes Haus hatte ich nun zur Verfügung. Unten mein Arbeitszimmer und der Unterrichtsraum, in der Mitte die Stube, die Küche und zwei Zimmer für Kunst oder Gäste, oben wiederum drei Zimmer, eines für mich, zwei für Gäste. Und Gäste hatte ich immer wieder - im Anfang oft Julia, bis sie verständlicherweise die Beziehung abbrach. Ich war unmöglich unverbindlich und stets auf der Bremse. Später kam hin und wieder Barbara, der ich ein Eurythmiestudium in Dornach mitfinanzierte. Doch die Beziehung war eher eine Leidensgeschichte, Barbara war selten da - was wollte sie in Bütschwil, wenn sie in Dornach soviel spannende Kontakte hatte? Und ich war ihr doch nicht spannend genug. So blieb ich all die Jahre in Bütschwil mehr oder weniger Juggeselle, fast ein Zölibatär. Die Gemeinde war diesbezüglich geduldig mit mir.

Pfarrer im Dorf: Wenn ich zurückblicke auf mein «Wirken» in der Gemeinde Bütschwil-Mosnang, so muss ich die geistliche Wirksamkeit anders bewerten, als das ein praktisches Lehrbuch tun würde. Ich meine, dass meine grösste Wirksamkeit darin lag, dass ich im Dorf wahrgenommen wurde, dass ich viele Leute kannte und sie mich kannten als einen Menschen der Religion, des Glaubens, und doch menschennah und menschlich. Diese Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung hat auch mit dem katholischen Gepräge der Gemeinden zu tun. Mosnang war zu etwa 95 Prozent, Bütschwil vielleicht zu 90 Prozent katholisch. Die Leute haben unsere Kirche und mein Pfarramt durch ihren Katholizismus wahrgenommen. Ich galt, wie der katholische Priester Theo Frey, als Respektsperson, als Gottesmann. Es war auch die Zeit der aufkommenden und selbstverständlichen Ökumene. So wurde ich zu allen öffentlichen Dorfanlässen mit eingeladen: zu Einweihungen von Brücken und Brunnen, zu Dorffesten, zur Fastnacht oder zur grossen Altersadventsfeier in der Turnhalle. Für meine reformierte Gemeinde war es wichtig, dass sie auch wieder einen Geistlichen hatten, der sich zeigen lässt, der die Katholiken wahrnehmen lässt, dass die Reformierten auch was zu bieten haben. Darum waren die öffentlichen Anlässe, über die stets auch in der Zeitung berichtet wurde, sehr wichtig. So war ich im Nu eine öffentliche Person, die aber stets ansprechbar war, wo immer man mir begegnete. Ich paulderte da und dort, besuchte Sportanlässe, das Fest der Spanier, der Türken und immer wieder das Lokal der Albaner, wo jedes Wochenende Musik geboten wurde.
Und bald kamen die Leute auch zu mir, vor allem die jungen Männer mit Drogenproblemen. Seltsamerweise habe ich aus dem Kreise dieser Leute meine besten Freundschaften gewonnen: Röbi Hunger habe ich auch später immer wieder auf seiner Alp besucht, Christian Tinner liess sich 2004 an der Sitter von mir noch taufen, bevor er an Weihnachten dessleben Jahres starb, Steffen begleitete mich in die Konfirmandenlager nach Wien … viele schöne Wanderungen haben wir gemeinsam unternommen. Doch hatte ich mit diesem Klientel auch schwierige Phasen erlebt, Geldüberbrückungen noch und noch, Einbruch mit leerer Kollektenbüchse, Wutanfälle ... oh: ich habe ja ein Amtsgeheimnis. Teilweise war meine Gemeinde irritiert über die Gesellen, die ich beherbergt, begleitet und unterstütz habe. Im nachhinein wurde mir diese Arbeit, wie ich vernommen habe, als eine meiner Stärken hoch angerechnet und geschätzt. Dabei habe ich da nur Freundschaft gepflegt, ich habe das gar nicht als Arbeit empfunden. Diese soziale Tätigkeit war mir nur möglich, weil ich keine Frau und keine Familie hatte.

Seelsorge: Die alteingesessenen Protestanten erwarteten den Hausbesuch des Pfarrers. Ich führte eine Personenkartei, wo ich mir die Besuchzeit notierte, auch wichtige Fragen, die angeschnitten worden sind und die ich nicht vergessen sollte. Ich erachte den Hausbesuch als äusserst wertvolle Tradition. Sie schafft einen Bezug zur Gemeinde und zum Geistlichen, auf den jederzeit leicht zurückgegriffen werden kann. Ich habe in den Gesprächen oft biographisch angeknüpft. Es hat mich auch echt interessiert, wie und wo die Menschen aufgewachsen sind, wie sie Kirche damals wahrgenommen haben und vielleicht auch, wie sie ihn heute verstehen und leben. Es gab immer auch einige ältere Menschen, die allein waren und denen der Besuch sehr viel bedeutet hat. Da ging ich regelmässiger vorbei. Die Neuzuzüger habe ich nicht immer rechtzeitig besucht. Oft waren sie schon wieder weg, bis ich reagiert habe. In der Regel habe ich mich nicht angemeldet, da die Leute dann eher kompliziert tun. Wenn ich aber vor der Türe stand, habe ich gleich auch angeboten, später einmal zu kommen, wenn es jetzt nicht passt. Ein Afrikaner, der anlässliche einer Ausbildung eine Woch in Bütschwil bei mir war, hat mich auf die Bedeutung des Segensgebetes bei Hausbesuchen aufmerksam gemacht. Wir sassen einen Abend lang bei einer alleinerziehenden Mutter auf Konfirmationsbesuch. Beim Verabschieden war der Afrikaner empört, dass ich kein Gebet spreche und übernahm es gleich selbst. Voller Inbrust hat er das Licht des Himmels auf dieses Haus herab beschworen und Gott gebeten, seinen Frieden hier walten zu lassen. Für mich war das die «Initiation» in die Haussegnung, in das Gebet auf dem Hausbesuch. Wenn ich spürte, dass ein solches Gebet angemessen, sinnvoll oder nötig ist, habe ich die Leute später immer gefragt, ob sie das wünschen – es wurde stets dankbar angenommen.

Religions- und Konfirmandenunterricht: Von Anfang an habe ich darum gebeten, auch an der Primarschule Religionsunterricht erteilen zu können. Diese Arbeit erlebte ich in vieler Hinsicht als etwas vom Wertvollsten. Das hat mir den Weg gebahnt zu den jungen Eltern, zu der Lehrerschaft und zu den Kindern, die später wieder in den Konfirmandenunterricht kommen. Auch konnte ich da mit den Kindern Singen, Geschichten erzählen und Zeichnen - Tätigkeiten, die mir Freude machen. Ideal war diese Arbeit auch für die Gestaltung von Familiengottesdiensten - die Kinder waren aktiv und brachten ihre Familien mit. In Bütschwil-Mosnang war der Religionsunterricht mit vielen Autofahrten verbunden. Ich musste die Kinder oft zusammensammeln aus verschiedenen Schulen und danach einige heimbringen.
Die Konfirmandengruppen waren mal grösser, mal kleiner. Öfters hatte ich auch Kinder vom Heim in Lütisburg oder vom Sonnenhof in Ganterschwil. In der Regel waren die Konfirmandenstunden recht intim, manchmal haben wir sie auch auf meinem Balkon oder in meiner Küche abgehalten, wo vorgängig jeweils zwei Konfirmanden für alle gekocht haben. All die Jahre suchte ich nach Lösungen für ein religiöses Programm, das auch dokumentiert wird und als eine Art «Notration» mit nach Hause und in die Zukunft getragen werden kann. Es ist mir kaum gelungen. Die kleinen Ordner mit den Schlüsseltexten und eigenen Texten sahen Ende Jahr doch eher handgestrickt und lückenhaft aus. Oft haben wir kleine Exkursionen gemacht: Pizza Essen bei den Zeugen Jehowas, Gespräche mit den Momonen in Ebnat Kappel, Besuch bei der heilpädagogischen Grossfamilie von Heinz Büchel, ... oder wir empfingen Gäste, oft spontan, wenn Chrigel oder Röbi oder sonst einer der Vagabunden vorbeigeschaut hat. Die ersten Lager machte ich in Gün im Safiental, dann mehrmals nach Wien ins Schweizerhaus und zuletzt, der Höhepunkt: zwei Wochen Rumänien mit zwei Autos. Steffen Klatt, der seit 1993 bei mir wohnte, hat meinen Fiat Uno gefahren, ich den Kleinbuss von meinem Bruder. Wir haben viel gesehen und erlebt, da ich gute Konakte hatte von einem ökumenischen Treffen.
Zur Konfirmation liess ich die Kinder immer Bilder aus meiner grossen Postkartensammlung aussuchen. Die habe ich auf farbige Papiere aufgezogen und mit einem Konfspruch beschrieben. Einmal hat uns Walter Dick, ein Künstler aus Lütisburg, das Konfbild gestaltet. Mit einigen Konfirmanden habe ich bis heute sporadisch Kontakt. Wir freuen uns, wenn wir uns zufällig treffen.

Gottesdienste: Ich frage mich, was ich den wenigen Gottesdienstbesucher und -besucherinnen tatsächlich mit auf den Weg gegeben habe. Bis heute erachte ich den Gottesdienst am Sonntag als schwieriges Kapitel in der reformierten Kirche. Er ist das, was theoretisch als Mitte und als Lebensnerv gilt, und gerade darum ist er wohl von Gewohnheiten, von Erwartungen, Zwängen und längst veralteten Formen belastet. Man müsste einmal alles vergessen, was wir davon kennen, um die Sache völlig neu zu erfinden aus den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Jetztzeit. Die Leute, die da sitzen, meinen zu wissen, wie es richtig geht, und der junge Pfarrer übernimmt die Verhaltensweisen, die Formeln und «Floskeln». Er imitiert sie so lange, bis sie automatisiert sind und auch er meint, so müsse es geschehen, genau das mache den reformierten Gottesdienst aus. So machen sich die Stammkunden im Gottesdienst und der Pfarrer gegenseitig unbeweglich und formal. Das sage ich über die gewöhnlichen und regelmässigen Gottesdienste, die in der Regel eher von einer kleinen und meist fast identischen Personengruppe besucht wird. Ich habe zuerst über die Schöpfungstage gepredigt, später zur Apokalypse ... und dabei meine Zuhörerschaft gehörig überfodert. Später habe ich aufgehört, die Predigten aufzuschreiben. Ich habe mich mit dem Text beschäftigt, habe darüber im Vorfeld mit diesem und jener gesprochen und dann am Abend vorher mir Notizen gemacht, wie der Aufbau der Predigt ungefähr sein soll. So wurde ich beweglicher, spotaner. Aber diese Gottesdienste mit den um die Predigt herum gruppierten Elementen haben mich nie ganz überzeugt. Mir fehlt da die Kunst, die Schönheit, die Würde, die Tiefe, die Spontaneität.
Etwas anders war es mit den speziellen Gottesdiensten an den grossen Feiertagen oder den Familiengottesdiensten, wo ich keine Ein-Mann-Show liefern musste, wo Roman Bislin uns mit seinem Klavierspiel verzaubert hat, die Kinder auftraten oder der Gottesdienst durch die Heiligkeit des Tages mit seinen Gesängen überzeugt hat, wie an Weihnachten. Und zu diesen speziellen Gottesdiensten rechne ich auch die Kasualien, wie man sagt: Taufen, Konfirmation, Hochzeiten, Abdankungen. Diese Anlässe führen die Gemeinde zusammen und geben somit der Zusammenkunft eine gewisse Kraft und Bedeutung, auch ein Ansporn für den Gemeindeleiter, die Gunst der Stunde zu nutzen. Wir hatten zeitweise eine Gottesdienstgruppe, die spezielle Gottesdienste mitgestaltet hat. Und da war die ...gruppe, die sich um das Wohlbefinden der Gemeinde sorgte, mit Apéros oder dem gut besuchten «Gottesdienst im Freien» Ende August.

Montagsforum: Über Jahre organisierte ich jeweils am ersten Montag des Monat einen Vortrag mit anschliessendem Gespräch – das Montagsforum. Damals gab es in Büschwil noch zwei Zeitungen, den Neutoggenburger aus Wattwil und den Alttoggenburger aus Bazenheid. Beide Zeitungen haben alle meine Texte ...