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Meine weitere Beschäftigung mit Martin Buber

Protokoll einer Weiterbildung:

Zürcher Lehrhaus Kurs 13: «Martin Buber und die Rückkehr der Religion»

Dienstag, 20. / 27. Nov. / 4. Dez. 2007 , 18.30 – 20.30 Uhr
Leitung: Dr. Martin Brasser, Philosoph und Theologe, Co-Leiter des Nachdiplomstudiums Philosophie und Management, Universität Luzern.

Die Ausschreibung des Kurses hat mich überzeugt. Da wird im universitären Kontext nach der bleibenden Bedeutung von Martin Bubers Philosophie gefragt, die eine Philosophie der Religion ist oder eine religiöse Philosophie. Brasser nimmt das Schlagwort von der Rückkehr der Religion» zum Anlass, nach der wünschenswerten Religon zu fragen. Und da hat Buber etwas zu sagen.

Die Kursausschreibung
So lautete die Kursausschreibung: «Das Schlagwort von der «Rückkehr der Religion» droht in Zeiten der Angst vor der Islamisierung des Westens und vor politischen Fundamentalismen nur noch negativ besetzt zu werden. Trotzdem gibt es Versuche, der Religion einen Sinn abzugewinnen. Dieser Sinn muss vor kritischen Rückfragen Bestand haben. Martin Buber (1878-1965), einer der wichtigsten jüdischen Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts, hat die Religion – nicht nur die jüdische – zeitlebens hinterfragt, ihre Formen und Forderungen untersucht und dabei immer die humane Praxis eingeklagt. Zunächs tinteressierte er sich mehr für solche Formen von Religion, die auf ekstatische Erlebnisse setzten («chassidische Phase»). Dann versuchte Buber den allen Religionen gemeinsamen Kern, den er die «Ich-Du-Beziehung» nannte, herauszuarbeiten («philosophische Phase»). Schliesslich wurde die Frage, was denn die jüdische Religion so einzigartig und besonders macht, immer wichtiger für ihn («jüdische Phase»).
Die Auseinandersetzung mit diesen drei Phasen und der Versuch, auf deren Hintergrund die «Rückkehr der Religion» heute besser zu verstehen, bildet das Hauptanliegen dieses Kurses. Dabei wird auch die Frage erörtert, was eine Religion, deren Rückkehr wünschenswert wäre, charakterisiert.»

Zur Person des Lehrenden: Martin Brasser
So weit die Ausschreibung. Ich habe mich ganz kurzfristig noch angemeldet. Man nahm mich auf, obwohl bereits 25 Leute sich angemeldet haben. Zur Begrüssung zeigte sich Michel Bollag überrascht über das grosse Interesse – und er stellte selbstkritisch fest, dass sich das Lehrhaus zum ersten Mal Buber widmet.
Zu Martin Brasser: Natürlich war ich sehr interessiert, was das für ein Mensch ist, dem Buber im universitären Kontext ein Anliegen ist – denn der Respekt vor dem Werk diese Religionsphilosophen habe ich aus der Ausschreibung heraus vernommen. Wie weit da auch ein echtes mystisches oder religiöses Anliegen dahinter ist, das war im Stillen meine Frage in den ersten Wahrnehmungen dieses Menschen. Ich sah vor mit einen eher noch jungen Mann in meinem Alter – ich nenne mich im Kontext der Kirche immer noch jung! Er hat etwas Asketisches an sich, auch irgendwie Spuren der Gelehrsamkeit und der Kirche, der katholischen Kirche. Es ist seltsam, wie das Milieu einen Menschen auch äusserlich prägt und ihm eine dementsprechende Ausstrahlung verleiht. Brasser ist Deutscher, wohl verheiratet und ein dialogischer Pädagoge. Da spüre ich auch eine frische im Umgangston mit andern Lernenden. – Dieser Exkurs zu Brasser gehört wohl eigentlich nicht hier her, ich lass das aber vorläufig mal stehen, da für mich diese Beobachtungen wichtig sind, auch für die Energie, zwei weitere Male nach Zürich zu fahren.

Zum ersten Abend: 20. November 2007

Rückkehr der Religion?
Im Laufe des Abends erhalten wir Papiere mit den wichtigsten behandelten Aussagen, daneben ist Raum für eigene Notizen. Diesen Papieren folgend referiere ich den Abend: Wir diskutieren mit den Nachbarn zum Stickwort «Rückkehr der Religion» die Fragen: «Kehrt die Religion zurück? Wenn ja, woran sehen Sie das?» – Brasser sammelt dann die Antworten an der Tafel. Tendenziell wird die Rückkehr der Religion gesehen. Zum einen in aktuellen oder zeitgeschichtlichen Anlässen und Entwicklungen (islamischer Terrorismus, Klimaveränderung), zum andern in ewigen Fragen, die im Wohlstand, durch globale Kommunikation (Internet) und das Zusammenwachsen der Kulturen (Buddhismuswelle) neu ins Bewusstsein treten (Toleranz, Spiritualität, Leben nach dem Tod, Transzendenz …).
Brassers Satz: «Religion als öffentliche Macht mit dem Potential sozialer und politischer Identitätsbildung. Sie geht einher mit einer sehr fundamentalistischen Haltung.»

Die Frage nach der guten Religion
Die «Rückkehr der Religion», so wie sie in den Medien verhandelt wird, ist eine negative Entwicklung, verbunden mit Milieukonfessionalismus, einer fundamentalistischen Wiederbesetzung aller Themen bis zu politischen oder militärischen Dimensionen. Brasser: «Das Problem: Ist die Säkularisierung gefährdet? Ist der Fortschrittsglaube naiv? Und wie ist richtige Religion?»
Die Frage stellt sich, ob sich Religion so denken und verwirklichen lässt, dass sie dem Universalitätsanspruch wie auch dem Pluralismus und der Toleranz gerecht wird. «Wie kann man Religion denken, dass man dem ihr wesentlichen Anspruch auf alles gerecht wird und zugleich den Preis der Totalitätsansprüche vermeidet» oder «Wie kann man die Universalität eines Glaubensanspruchs mit der Idee der Toleranz gegenüber dem Anders-sein zusammenbringen?»

Buber meint, dass wir nur das richtige Verständnis von Religion gewinnen müssen: das was alle Leute wollen. «Die wahre Religion will nur und genau das, was alle Menschen von sich aus wollen können.» oder «Das wirklich Religiöse ist das Menschliche, das für alle Menschen gilt und zugleich human ist.» oder «Das Religiöse ist das universal Humane.»
Diesen Gedankengang entfaltet Buber in drei Phasen:

1. Die chassidische Phase: Das Religiöse ist das universal Menschliche und als solches das Humane.
2. Die philosophische Phase: Das Universal Humane ist bereits das Religiöse.
3. Die jüdische Phase: Das Judentum hat die Aufgabe, dies zu verwirklichen.

 

1. Die chassidische Phase

1.a.) Ekstatische Konfessionen
In dem frühen Werk (ich habe es von der Wissenschaftlichen Buchgesellsschaft Darmstadt, 1985) sammelt Buber Zeugenisse der Ekstase aus allen Kulturen und Zeiten und zeigt, dass dabei die Einheitserfahrung dominiert (Einheit, Einzelheit, Einsamkeit). Bald aber hat ihn das Ergebnis nicht mehr befriedigt, er warf dem Buch ein Jahr später vor, einen religiösen Solipzismus zu fördern, vor allem fehlte da die Durchdringung aller Lebensbereiche wie auch die ethische Dimension. Buber habe realisiert, dass über die Beschreibung religiöser Phänomene, also über die Religionsphänomenologie, kein Zugriff auf die allgemeine Struktur der Religion möglich sei.

1.b.) Daniel – Orientierung versus Verwirklichung
In seinem Buch zum Propheten Daniel habe Buber die weltanschauliche Orientierung mit der Verwirklichung verglichen. Die Orientierung zeigt den Ort eines Gedankens im Ganzen. Die Verwirklichung hingegen erschliesst den Sinn des einzelnen Punktes. So ist für Buber das System von Lebensregulationen noch nicht die Religion, wie es die Ekstase auch nicht ist. Erst in der Rückkehr von der Jenseitserfahrung wird die Ekstase in der Gegenwart verwirklicht. Im Tun, im Umsetzen, im Verwirklichen kommt die Ekstase zu ihrem Sinn. Erleuchtung ist, was man tut: Die Realisation der Präsenz Gottes, in der reinen Handlung aufgehen. «Henoch war ein Schuster. Mit jedem Stich, mit dem er die Sohle an den Schuh heftete, band er die obere an die untere Welt.» Im Alltag wird Religion offenbar, so wie der Fuhrmann am Sabbat seinen Wagen schmiert oder der Rabbi seine Schuhe bindet. Die Welten sollen im Alltag miteinander verbunden werden. Dort wird das Eine verwirklicht.

1.c. Chassidische Schriften: Die Elemente der Realisierung: Leben aus der Freude, Gemeinschaft
Im Zentrum steht in allem die Freude. Sie ist zentral in der Art, wie Buber den Chassidismus vermittelt hat. Darin ist Universalität wie auch Toleranz. Seine Frau Paula Winklers soll die chassidischen Geschichten verdeutscht und redigiert haben. Ihre Leistung sei unbestritten, jedoch stehe die Auswahl und Darlegung unter dem Verdacht der Ideologie einer idealen Religion. – Das leuchtete mir sofort ein, doch mir war immer klar, dass in den chassidischen Geschichten Religion tradiert wird, dass hier eine schriftliche Form das transformiert, was an Substanz durch die Adern dieser Bewegung ging. Das kann nicht und soll nicht historisierend oder bloss literarisch notiert werden. Da geht es um religiöse Substanz, die für die Gegenwart sprechen soll.
Die Theorie dahinter sei folgender Gedanke: Religion ist das, was aus der Freude kommt und in die Freude geht, was die guten Begleitumstände erzeugt, wenn es vom Himmel kommt.
Die Verwirklichung über Freude läuft nicht über die «Orientierung», sondern über das konstante Ausrichten auf das, was gut ist, was Gott ist. Wenn man etwas ganz tut, geschieht etwas Neues, Positives, Tolerantes … (26.11.2007)

Dienstag, 27. November 2007

Wir repetieren einige Punkte vom letzten Dienstag, Martin Brasser ist interessiert daran, was bei uns aus der letzten Stunde hängen geblieben ist. Nochmals knüpfen wir an beim Thema «Orientierung versus Verwirklichung»: Verwirklichung steht für eine Bewegung, die sich unterscheidet von der Orientierung wie auch der Religion im Sinne von Rückverbindung. Verwirklichen in Freude steht für etwas, das immer und überall möglich ist. Wo wir ganz im Tun sind, bei uns oder bei der Sache Gottes, da ist Verbundenheit, das ist Verwirklichung. Das Tun in der Gemeinschaft ist der Weg, die darin vollzogene Freude ist nicht auf etwas Bestimmtes bezogen, sie ist, wenn sie bestimmt sein will, in Gott. Eine Kursteilnehmerin bemerkt treffend, wie Buber einen Psalmvers anders übersetzt. Statt «Dienet Gott mit Freude!» sagt Buber «Dienet Gott in Freude!» - Die Freude ist nicht etwas, das dazu kommen muss, damit der Dienst gut ist. In der Freude ist Gott selbst Dienst.

bisher: Religion ist Realisierung und als solche sowohl universal als auch human
Es geht im «Leben aus der Freude» um das, was jedem Menschen möglich ist, um eine universale Erfahrung des Religiösen! Die Freude, die allen möglich ist, gilt als anthropologische Konstante. Buber will in dieser Phase die Gotteserfahrung qua Freude definieren. Es geht nicht um die Freude als Gefühl, sondern um die Struktur, den Vollzug der Einigung von oberer und unterer Welt in der Freude. Im Leben der Chassidim, in ihrer Gemeinschaft, hat Buber diese Freude gefunden und literarisch beschrieben. Nicht eine bestimmte Religion (das Judentum) hat Buber da im Blick. Er legt das Augenmerk nicht auf das Glaubensgebäude, sondern auf die Realisierung, die Qualität der Freude, welche universal und human ist.

 

2. Die philosophische Phase

Wie muss man die Realisierung verstehen? Bubers Methode: Dualismus
In dieser Phase geht Buber von der Gefühlsebene weiter. Er versucht dabei das, was im Realisieren geschieht, zu schematisieren. Nicht mehr die Art der Freude ist jetzt wichtig, sondern die allgemeinde Struktur, welche die Freude konstituiert. Er versucht in der «philosophischen Phase» die Freude allgemein und formal zu bestimmen – wobei sich die «Phase der Geschichten» und die «Phase der Philosophie» gegenseitig durchdringen und tragen.
Buber sucht zwei Extrempunkte von möglichen Erfahrungen, die dazu helfen, Religion zu bestimmen.

Frage: In welche zwei Prinzipien teilen Sie Ihre Erfahrungen ein?
Martin Brasser fordert uns auf, selber nach jeweils zwei Begriffen zu suchen, welche eine Zweiteilung unserer Gefühle ermöglicht. Angenommen, wir hätten alle unsere Erfahrungen in 2 Schubladen aufzuteilen, wie würden die Schubladen heissen? Folgende Gegensatzpaare kommen zusammen:

Angst -
Vergangenheitsorientiert -
Verzweiflung -
Enttäuschung -
Verharren -
Einsamkeit -
Unwissen -
Tod -

Freude
Zukunftsorientiert
Hoffnung
Erfüllung
Entfaltung
Gemeinschaft
Erkenntnis
Leben

Links nebenan sind die Begriffspaare, die im Kurs gesammelt worden sind.
Bei dieser Übung hatte ich meinen ganzen Buber für einen Moment vergessen und war dann umso überraschter, Bubers Dualismus, seine Aufteilung aller Erfahrungen zu erfahren, nämlich die beiden Grundworte: «Ich-Es» und «Ich-Du». Na klar!

Bubers Vorschlag:  Ich-Du-Prinzip («Vollzug»)
                             Ich-Es-Prinzip («Ergebnis»)

in: «Ich und Du» von 1923 (Entstehungsgeschichte)

Überall, wo unser Tun und Erfahren sich auf etwas bezieht, sind wir im «Ich-Es» und nicht da, wo wir mit der Religion sein könnten, nämlich im «Ich-Du». Was immer wir wissen oder hoffen … da bleiben wir auf «Etwas» gerichtet, sind im «Ich-Es» und nicht im «Ich-Du» wie in der Verwirklichung oder im Leben aus der Freude.
Buber hat diese Dualität ausgebaut zu einem eigentlichen Religionssystem, das unabhängig von allen Religionen funktionieren soll.

Es – Was bist Du?
Gegenstand
Was bringts? Ziel? Preis? – Haben
Sachliches Verhältnis, keine Beziehung

Du – Wer bist Du?
Gegenwart
Tun, Realisieren, Ausrichten – Sein
Beziehung ist nur da möglich

Was meint «Ich-Du-Prinzip»? – Grundsatz: «Alles wirkliche Leben ist Begegnung» > Religion ist Begegnung
Nur im «Ich-Du-Prinzip» ist Begegnung möglich, ist das Leben wirklich, offen zu Gott.

These: Die Struktur von Begegnung ist im «Ich-Du-Prinzip» beschrieben.
Was meint «Ich-Du»? (siehe Text 1, Teil, 1. Abschnitt: «Die Welt ist dem Menschen zwiefältig…»
Der Mensch kennt zwei Möglichkeiten, zwei Arten der Bezugname, zum Beispiel im Bezug auf Y. Im Grundwort «Ich-Es» ist das Y ein Es, ein Gegenstand, ein Etwas. Im Grundwort «Ich-Du» zeigt das Y seine Lebendigkeit, wird Möglichkeit zum Geschenk, zum Zuspruch, zum Ausdruck von Sinn. Alles kann im Du angesprochen und erlebt werden, aber diese Erfahrung ist nicht verbalisierbar. Alle Dinge, sogar das ekstatischen Erleben, sind im «Ich-Es-Prinzip», sofern diese Dinge beschreibbar sind. Da ist nicht die Religion. Was Orientierung bringt (Wissenschaft, Theologie, …), wo der Vergleich ist, wo Einordnung geschieht, … überall da ist der Mensch im «Ich-Es-Prinzip». Die Einteilung findet ihre Stärke in der Negation. Über den negativen Ausschluss wird zum Positiven hingeführt. Das «Ich-Du-Prinzip» ist nicht beschreibbar, muss also ex negation erschlossen werden.

Achtung: Ich-Du, Ich-Es sind «transzendentale Prinzipien» (bei Kant «Formen der Anschauung»)
Bei den Grundworten haben wir es nicht mit bestimmten Begriffen, Ideen, Gefühlen oder Absichten zu tun, sondern mit zwei Grundformen des Vollzugs aller unserer Lebensvollzüge. Die Grundworte sind all unserem Bestimmen und Ordnen vorgelagert als die zwei Möglichkeiten, mit der Welt in Beziehung zu treten. «Die Welt als Erfahrung gehört dem Grundwort Ich-Es zu. Das Grundwort Ich-Du stiftet die Welt der Beziehung.»

Sphären des «Ich-Es» und des «Ich-Du»: siehe Beschreibung «Ich betrachte einen Baum …»
«Drei sind die Sphären, in denen sich die Welt der Beziehung errichtet.» > Die Natur, die Welt der Menschen, Gott. … «In jeder Sphäre, durch jedes uns gegenwärtig Werdende blicken wir an den Saum des ewigen Du hin, aus jedem vernehmen wir ein Wehen von ihm, in jedem Du reden wir das ewige an, in jeder Sphäre nach ihrer Weise.»
Es folgt im Text von «Ich und Du» ein Beispiel: Die Betrachtung eines Baums. Das Beispiel ist unwesentlich. Y kann alles sein. Was passiert da bei der ästhetischen Erfahrung, beim Messen, bei naturwissenschaftlichen oder phänomenologischen Beobachtungen? Wir sind im «Ich-Es-Prinzip» «In all dem bleibt der Baum mein Gegenstand und hat seinen Platz und seine Frist, seine Art und Beschaffenheit.
Es kann aber auch geschehen, aus Willen und Gnade in einem, dass ich, den Baum betrachtend, in die Beziehung zu ihm eingefasst werde, und nun ist er kein Es mehr. Die Macht der Ausschliesslichkeit hat mich ergriffen.» Natur, Menschen oder Gott – alle Sphären können im Ich-Es-Prinzip oder im Ich-Du-Prinzip erfahren oder erlebt werden.
Übrigens habe ich in den letzten Tagen versucht, in Bubers Buch «Ich und Du» zu lesen. Es viel mir auffallend schwer. Dabei sind die Sätze kurz und bündig, aber der Duktus entspricht nicht der Logik eines Sachbuches. Ich bin überrascht, dass ich vor einigen Jahren fähig war, das Buch zu lesen, mit Interesse. Martin Brasser erwähnt, dass der Stil ungewohnt ist: poetisch und expressionistisch. Buber habe Nietsche als Vorbild gehabt. (2.12.2007)

Dienstag, 4. Dezember 2007

Im Zug nach Zürich lese ich in Bubers «Ich und Du», wieder muss ich mich konzentrieren, Passagen zwei oder drei Mal lesen, bis ich sie nachvollziehen kann. Er bringt da im ersten Teil eine Ontologie des Menschen, phylogenetisch und ontogenetisch: seine Entstehung in der Geschichte und im Mutterleib und durch Geburt. Die Ich-Du-Beziehung ist immer schon da, aus ihr heraus erkämpft sich der Mensch sein eigenes Wesen in der Welt des Es. Er könnte das nicht, würde er dabei nicht vom Ich-Du getragen, gehalten, angeleitet.

Im Kurs repetieren wir wieder die Ergebnisse des letzten Dienstags. Dass es sich bei den Prinzipien «Ich-Es» und «Ich-Du» um Formen der Anschauung handeln soll, irritiert einige Teilnehmenden. Martin Brasser versucht es zu umschreiben. Das sind Gegebenheiten, die wir nicht machen, sondern entdecken, die quasi unsere Möglichkeiten der Beziehung ausmachen oder konstituieren. Es handelt sich um «Formen», unter denen Gegenstände erscheinen. Formen sind nicht physische Formen, sondern Urbedingungen, allem Werden vorgelagerte Konstanten. Es handelt sich um die vorgegebenen Gefässe, innerhalb derer etwas stattfindet. Das Begriffspaar «Gegenstand» und «Gegenwart» umschreibt philosophisch, um was es bei den beiden Prinzipien geht. Auch Heidegger wird erwähnt, der zur selben Zeit philosophisch das auszusprechen versucht hat, was in der Religion geschieht. Er spricht von der Abgeschlossenheit im Beziehen und von der steten Ankunft des Seins.
(Diese Repetitionen haben einiges für sich, aber wir haben da auch Zeit verbraucht, die am Schluss gefehlt hat – im Nachhinein merke ich, dass die jüdische Phase zu kurz kam – ein Problem vieler Kurse, dass man nicht durchkommt mit dem ambitiösen Programm)

Martin Brassser liesst dann aus der Neuedition von Bubers Werk einen Text von 1914, der die beiden Zugangsweisen am Beispiel eines Käfers nochmals verdeutlich. Ich kann den Käfer sehen, ihn als Käfer benennen und das war's, erledigt. Ich kann ihn aber auch aufnehmen, mit der ganzen Person anschauen und mit meinem Wissen anreichern. Auch da ist er dann registriert. Sage ich aber der Sprache ab und werde wie neu geboren im Sehen und Begegnen, beispiellos in Sprache, in der Fülle der Beziehung, dann realisiere ich das mir Menschenmögliche.

Merkmals der Ich-Du-Beziehung: Ausschliesslichkeit, Gegenseitigkeit, Ganzheitlichkeit, Unmittelbarkeit, Wirksamkeit
Ausschliesslichkeit: Da ist alles drin und enthalten, es füllt alles aus, alles ist in dieses Licht getaucht, nichts ist ausgeschlossen.
Gegenseitigkeit: Da sind Ströme der Allseitigkeit, wechselseitiges Strömen und Bereichern zwischen Ich und Du, gegenseitiges Erkennen.
Ganzheitlichkeit: Von X und Y wird nur mit dem ganzen Wesen gesprochen – ohne Verdrängung (im Freudschen Sinne).
Unmittelbarkeit: Das, worauf man sich bezieht, ist nicht Mittel für etwas, steht nicht im Dienst anderer Zwecke, ist geeint im Du.
Wirksamkeit: Die Welt wird da anders, man kann nicht dahinter zurück. Der Käfer ist neu gesehen, der Umschlag zum Ich-Du hat einen Nachhall.

Gott als das «ewige Du»
Zitat: «Die verlängerten Linien der Beziehung schneiden sich im ewigen Du.»
Wer diese Bestimmung der Ich-Du-Beziehung akzeptiert, erfasst die Religion im allgemeinen Sinn. Religion ist da Erfahrung; der Gegenstand der Erfahrung ist Gott als das «ewige Du».

Gott als Gegenüber? Gegenwart?
Religion muss dual sein, sie geschieht in der Beziehung, im Widerspruch. Religion versöhnt die Gegensätze.
Gott ist die Form, unter der uns etwas begegnet. Gott ist das Prinzip der Ich-Du-Beziehung. Dieses Prinzip heisst Gegenwart.

Und was meint «Religion»? «vollkommene Akzeption der Gegenwart».
Sich auf Gott beziehen ist die völlige Akzeptanz, dass «gegenwärtig sein» der wahre Gottesdienst ist.
Der hebräische Glaube ziehlt nicht darauf, an einen Sachverhalt zu Glauben, er ist eher ein existentielles Vertrauen: «Lebe das, wozu du beauftragt bist.» Das ist zu unterscheiden von einem naturhaft gedachten verinnerlichten Lebenstrieb oder einem orientalischen Sitzen in der Gegenwart, das aufdeckt, was da immer schon ist.

So ist Religion a) universal (jeder Mensch kann es),
                       b) human (weil situativ auf den Nächsten bezogen)
Der Vollzug der Religion ist Realisieren der Gegenwart, in allen Anlässen des Lebens. Das ist universal und human zugleich.

3. Die «jüdische Phase»

Was ist unter diesen Vorzeichen eine «jüdische Religion»? – siehe «Reden über das Judentum» (1909-1919)
Das Judentum ist ein polares Phänomen («Ich-Du») und darin das, was alle Menschen als Menschen wollen.

Wesentliche Merkmale:
a) die Judenfrage ist persönlich > «Realisierung»
Was man aus sich heraus als Jude macht, ist das Judentum
b) das Judentum ist ein polares Phänomen >«Einigung»
Ich leide nicht mit den Leidenden, sondern bin Teil des Leidens
c) das Judentum fordert drei Ideen: Einheit, Tat, Zukunft

Aufgabe: Beschreiben Sie die wesentlichen Merkmale der drei Idee aus ihrem Text («Reden über das Judentum 1909-1919)
Die Rede wurde vor der zionistischen Vereinigung in Ungarn (?) gehalten. Buber wurde die Frage gestellt, was das Jüdischsein ausmacht, wie man religiöser Jude sein könne. In dem Vortrag sagt Buber, dass man als Jude die Ideen der Einheit, der Tat und der Zukunft in die Welt zu tragen habe. Wer das tue, der lebt religiöses Judentum.
> Die Idee der Einheit: Der Jude sieht Zusammenhänge in allen Erscheinungen und bindet sie im Begriff. Eine tiefere Einheit bildet die Gottesidee der Propheten. Dieser Idee widmet sich die Tradition in ihren Lehren und Bräuchen. Doch die Einheit Gottes hat sich der Menschheit angenähert durch die Einwohnung der Schechina. Spinoza hat die Einheit in der Welt philosophisch realisiert, der Chasidissmus hat sie gefeiert, heute ist diese neue, gegenwärtige Einheit vertrocknet. Gleich Johannes dem Täufer ergeht der Ruf nach Erneuerung, die Sehnsucht führt uns zu ihm in die Wüste. Wir sollen nicht mehr der prophetischen Sicht der Einheit Gottes nachrennen, denn die jüdische Idee ist, dass Gott sich mit der Welt verbindet.
(bei den folgenden Worten gib ich Stichworte aus dem Kurs wieder, ich habe diese Texte nicht selber gelesen, wir hatten drei Gruppen)
> Die Idee der Tat: Die Juden müssen nicht Christen werden, denn im Christentum ist alles jüdisch (Bergpredigt, Seligpreisung, …) Was am Christentum Religion ist (qua Tat: Frieden stiften, andere als wie Eignes behandeln, …) ist jüdisch. Das Christentum ist so im Kern eine Tatreligion, das, was das Judentum will.
> Die Idee der Zukunft: Da geht es um die Zielgerichtetheit des Messianismus. Die «Gegenwart» hat etwas an sich, das prinzipiell die Zukunft im Blick hat. Der Messianismus ist jüdisch. Im modernen Sozialismus und im Kibbuz findet er eine allgemeine Gestalt.

Grundsätzlich: Ritus, Zeremonien etc. sind für die jüdische Religion nur äusserlich
Die jüdischen Ideen: Einheit, Tat und Zukunft lassen sich allgemein fassen und leben, der tradierte Ritus ist da eher hinderlich.

Nach Buber ist Religion nur dann universal und human, wenn sie auf allgemeinverbindliche Ritualität verzichtet

Universalität, Humanität, Ritualität
Alle drei Gebiete lassen sich nicht vereinen.
Universalität und Ritualität ergeben eine unzeitgemässe Relligion (Islam? oder die katholische Kirche? - das ist mein Gedanke)
Humanität und Ritualität (ist das das Judentum in seiner klassichen Form mit dem Brauchtum, das ihm auch Stärke und Identität gibt?)
Universalität und Humanität (ohne Ritualität) - das ist Bubers Religion (wäre das eine Vision für die reformierte Identität?)

Schade, dass wir nicht mehr die Zeit hatten, diese Grundfragen zu bedenken und zu diskutieren. Hat Buber eine Mission für die Gegenwart, wo es um die Frage geht, ob die Wiederkunft der Religion auch positiv gedeutet werden könnte? (4.12.2007, 3 Uhr)