Die heilende Kraft der Stimme (1. bis 2. März 2008 in Ganterschwil)
|
Im Januar 08 hat sich in St.Gallen der Verein der Schweizer Klangtherapeuten vorgestellt >>> mehr darüber. Dort habe ich Sabina Gränicher und ihr Angebot kennen gelernt. Sie und ihre Partnerin Sandra Maria Neff haben in Ganterschwil, am Ausgang des Dorfes nahe dem Fluss Necker, ein Anwesen erworben, wo die beiden Frauen ein vielfältiges Kursangebot aufgebaut haben.
(Bilder durch Klick vergrössern)
Wirkstatt Hengarten, Hengarten 233, 9608 Ganterschwil,
>>> https://www.wirkstatt-hengarten.ch |
Samstag, 1. März
Ich besuchte am Wochenende 1./2. März 2008 den zweitätigen Kurs «Die heilende Kraft der Stimme». Am 1. März fegte Sturm «Anna» über die Landschaft. Morgens um 7 Uhr hätten die beiden Frauen zuschauen können, wie ihre frisch erworbene und aufgestellte Jurte vom Wind zerfetzt wurde. Doch Sabina liess sich davon nicht irritieren.
Wir sind in dem Kurs sieben Frauen und zwei Männer und beginnen mit einem Lied aus dem 16-seitigen Liedblatt. Es ist ein Lied aus Uganda mit dem Text: «Before we sing a song, before we show a dance, we better tell you, that you are welcome». Es folgt eine kleine Vorstellungsrunde, bei der wir auch unsere Erwartungen äussern.
Entspannen, Ankommen, Saite spannen
Nach leichten Lockerungsübungen im Stehen lässt uns Sabina zurückkehren zum Anfang des Tages: zum Aufstehen, zur Hinreise bis zur Gegenwart in der neuen Gruppe.
Eine Imagination soll uns bewusst machen, worum es am heutigen Tag geht: Sie spricht von einer roten Flüssigkeit in der Beckengegend, die über unsre Oberschenkel, Unterschenkel und Füsse fliesst bis auf den Boden. Diese Vorstellung hilft mir in der Tat, die Glieder sehr bewusst wahrzunehmen und die Beide zu spüren, vor allem aber die Füsse, wie sie auf der Erde stehen und mit den anleitenden Worten dazu Wurzeln schlagen in Mutter Erde, die uns trägt. Eine weitere Vorstellung lässt uns einen Silberfaden sehen, der vom Becken die Wirbelsäule hinauf führt, vorbei an den Stimmbändern immer weiter hinauf bis in die oberen Welten, wo der Silberfaden an einem Stern hängt. (Im Bild rechts: Kursleiterin Sabina Gränicher)
So eingebunden zwischen Erde und Himmel empfinden wir den Silberfaden an dem kleinen Ausschnitt, welcher unsere Stimmbänder ausmacht. Die Saite zwischen Himmel und Erde geht durch uns hindurch und wir können sie mit dem Atem anschlagen, klingen lassen. So stehen wir im Kreis und versuchen, diese Saite zum Tönen zu bringen. Das ergibt eine erste Improvisation, ein gemeinsames Klangerleben.
|
|
|
Babbeln wie die Kinder
Mit Trommeln singen wir dann das Lied auf dem Liedblatt: «Ungala», Sabina präsentiert das Programm für den Kurs, bei dem es 1. um die Stimme als Kommunikationsmittel geht, 2. um die Sphären der Stimme, 3. um das Erleben und Empfangen der Stimmqualitäten 4. um das Feiern im Verhältnis von Ich-Du.
>>> Wir sollen das Wort «Ja», also nur zwei Buchstaben, auf verschiedene Art aussprechen und damit experimentieren. Da wird deutlich erlebbar, wie mit der Stimme eine Silbe je nach Betonung und Stimme eine ganz andere Bedeutung und Qualität erhält.
>>> Es folgt die «Brabbelmeditation»: Wir sollen mit der Stimme frei fabulieren, wie Kinder, welche ihre Sprachorgane entdecken. Das Brabbeln lässt keine Begriffe zu, wir lenken uns damit ab, in Gedanken zu sprechen, es geht nur um die Lautmalerei. Darauf folgt eine Austauschrunde: «Im Kauderwelsch sind wir abgeschnitten vom Denken.», «Da konnte ich in einer Fantasiesprache rauslassen, was ich schon lange sagen wollte.», «Das hat mich beschwingt, …Gedanken kamen zwar zurück, aber sie gingen auch wieder … ich kam wieder in die reine Wahrnehmung, in die Spielerei.» Laut einer Quelle soll, so erzählt Sabina, soll eine Minute Lachen wirken wie 45 Minuten Meditation oder auch wie 10 Minuten Joggen. Es werden dabei viele Muskeln aktiviert. Brabbeln sei auch das Makenzeichen eines Sufi-Mystikers gewesen sein, der sich nie einer Sprache bediente, sondern immer nur Unsinn ausstiess. Brabbeln helfe, die Gedanken wegzufegen und unsere Verhaltensweise von ständiger Verbalisierung zu durchbrechen. Denn Bedeutungen schaffen auch Grenzen,...
Zum Mittagessen gehen wir in das schön gestaltete Haus. Sandra hat gekocht: Kürbissuppe, Salat, Nudeln mit Tomaten- und Gorgonzolasauce, Schokoladenpudding mit eingemachten Birnen und Kaffee. Beim Essen lernen wir uns gegenseitig besser kennen. Es folgen hier nochmals einige Bilder von der Umgebungsgestaltung rund um das Haus «Wirkstatt Hengarten».
Die Stimme, unser Eigenstes im ganzen Körper schwingend
Sabina verteilt am Nachmittag an alle ein fast 40-seitiges Heft mit der Theorie. Es sind die Kursunterlagen zum Kurs «Die heilende Kraft der Stimme». Aus dem Heft referiert die Kursleiterin immer mal wieder gewisse Inhalte.
Bei der eigenen Stimme haben wir oft Hemmungen, denn es geht das um unser Eigenstes. Es gibt die geschulten Stimmen, die zum Kunstgesang führen. Was wir hier üben, wecken und erinnern ist etwas Elementares, das allen Menschen gemein ist. Früher haben die Menschen bei der Arbeit gesungen, die Kraft der Gesänge ging ein in die Produkte, in die Umgebung.
Sabina will uns dahin führen, Vokale und Konsonanten mit dem ganzen Körper zu erleben. Wir sollen in allem darauf achten, wie sich das anfühlt. Mit der Körperhaltung können wir das Erleben sichtbar machen und verstärken. In einem Lied vollziehen wir einen Gebärdentanz.
In einer Übung geht es darum, drei Sphären der Stimme zu erfahren. Aus unserm Sprechen heraus haben wir unsern Ton zu finden, in dem wir im Alltag funktionieren. Sodann gehen wir in die Bruststimme mit der Vibration tiefer Töne und in die Kopfstimme mit einem hohen I und der Geste des Wolfs – dazu halten wir die Hände über das Gesicht, sodass sich die Zeigefinger über der Nase kreuzen. Drei verschiedenen Klangräume des Körpers werden erfahrbar: Brust, Hals, Kopf.
Die Chakras, Vokale, Keimsilben
Sabina erzählt von den Chakras und der Wirbelsäule. Davor befinde sich der Stimmkanal, wo die Vokale entsprechend den Chakras ihren Sitz hätten. Anhand einer Zeichnung gehen wir die sieben Zentren durch, theoretisch und praktisch. Wir spüren den Zentren singend nach, auch mit Gesten: zuerst rauf und runter, alle gemeinsam, dann jeder selber experimentierend und schliesslich gehend im Raum, kommunizierend mit andern, denen wir begegnen. Dabei geht es darum, dass wir uns weiten in den erlebten Vokalen und zugleich erden. Wir sind mit dem Ich im Vokal, zugleich aber im Klangbad des «Wir» aller andern.
Sabina gibt weitere Ausführungen zu den «Worten der Kraft», welche wir traditionell im Rosenkranz, im Vaterunser, im Amen, im Kyrie Eleison, im Wort Jesus oder im Halleluja haben.
Jedem Chakra entspricht auch eine Keimsilbe, welche wir in einer längern Meditation gemeinsam singend erkunden.
Sonntag, 2. März
>>> Mit einer energischen Trommlelmusik (eine alte Rigolo CD) beklopfen wir unsern Leib vom Boden her bis zum Kopf, um dann mit einem Schrei und einem Sprung wieder von untern zu beginnen. Das ist wohl eine Aufwachübung.
>>> Mit kleinen Silben wecken wir das Zwerchfell: «hop» lässt die kurze Spannung erleben, die Einatmung erfolgt automatisch; «blipp» - Saifenblasen zerplatzen – mit den Händen die Gesten dazu; «tsch» - wir wischen uns Föserli von den Kleindern. Dann die Sprechübung «Geh weg zum Kuckuck».
Die Rahmentrommel
>>> Alle erhalten eine Rahmentrommel: Wir singen das Lied vom «Ankommen» zum Takt der Trommeln, dann wird nur getrommelt und später dazu frei improvisiert. Einen ersten Anlauf muss Sabina unterbrechen. Es wird zu chaotisch und ungeordnet getrommelt. Die Rahmentrommel werde nicht wie das Djembe artistisch geschlagen. Es gehe um den einfachen klaren Zweierrhythmus, das Gleichmass, welches dem Klang des Instruments gerecht werde. Die chaotische Phase aber habe durchaus ihren Sinn und Zweck für die Reinigung und Vorbereitung der weiteren Phase, welche uns in ein fast heiliges Ritual führt. Schamanen reisen auf den Schlägen. So wurden wir im Gleichmass getragen, es passierte etwas mit der Gruppe. Für Sabina zeigte sich dies vor allem im Schluss: Es war absolut klar, wie das Stück geendet hat und wann der letzte Schlag war. Danach die Stille, in welcher wahrnehmbar wird im Nachklang, was mit uns geschehen ist.
Einige Kommentare: «Ich musste eine Zeit lang stampfen, um dabei gewisse Hindernisse zu überwinden»; «Die Gesänge entstehen in der Haltung: Lass mich hören und tun, was für die Gruppe gut ist»; «Man kann sich von Bildern leiten lassen»; «Die Trommel erdet als Instrument, denn sie erinnert an die Herzschläge der Mutter in der Embryonalzeit»; …
MUOANG
Mit der Silbenfolge «Muoang» machen wir verschiedene Übungen:
>>> Für sich alleine, sitzend oder liegend, mit den Händen einen Kanal von oben nach unten formen und dabei die Silben Muoang sprechen. Die Hände auf den Boden legen und mit dem Einatmen wieder in die Ausgangslage für ein neues Muoang. So im Atemrhythmus einige Zeit eintauchen in die Wirkung der Silben.
Nach dieser Übung nennen alle einen Begriff, der zur Stimmung passt: Frieden, Freude, Ruhe, .... ich nenne Sonntag.
>>> Partnerübung, Rücken an Rücken, aber ohne Berührung: Die erste Person beginnt mit Mu … die zweite Person übernimmt …oang. So kreist das Wort und verbindet die beiden Personen. Ich mache die Übung mit Sabina. Sie erklärt das Übernehmen, den Übergang mit den beiden Farben rot und blau. Da ist kein Unterbruch, sondern die Stimmen der beiden Personen überschneiden sich, so dass da ein Violett entsteht.
>>> Dieselbe Partnerübung zum Wort Muoang machen wir dann nach dem Mittagessen auch draussen, allerdings nicht Rücken an Rücken, sondern einander gegenüber stehend: Das Muoang kreist wie eine Spirale. Die Übung mache ich mit Eva.
Bilder oben: In der Mitte unser Mittagessen, links Skizze aus dem Kurs mit den Dimensionen des Gesangs.
Theorie zum Schamanismus
Nach einer Pause erzählt Sabina von der heilenden Wirkung der Stimme in der Urzeit. Dazu nur einige Stichworte. Damals war Gesang und Rhythmus neben den Kräutern die wichtigste Medizin. Durch die Klänge kamen die Menschen auch in Kontakt mit höheren Bewusstseinssphären, von wo sie wichtige Informationen mitnahmen. David heilte mit der Harfe die Depressionen von König Saul.
Singen, Weissagen, Magie, Zauberei – all das gehörte zusammen. Bis ins 7. Jh. vor Christus war der Gesang der Frauen (als Seherin, als Schmanin) eine respektierte Macht, was auch in vielen Frauenfiguren aus dieser Zeit sichtbar wird. Später wurden die Frauen von den Singkulturen ausgeschlossen. Der Mann entriss ihr die Macht der Stimme.
Heilsingen
Es folgen einige Lieder vom Liedblatt und eine Gesangsmeditation zur Silbe OM durch drei Zentren im Menschen (Es fällt mir schwer, die Übung richtig zu rekonstruieren: Vom Bauchnabel her mit der Silbe a hinauf bis zum Punkt 2 cm unter das Brustbein in ein wwu in der Quint mit wenig Stimme, dann weiter zur Oktav beim Scheitel im om mit Vibration im Kopf – wieder hinunter und wieder herauf durch den physischen, seelischen und spirituellen Punkt, so einige Male.)
Sabina spricht dann etwas vom Heilsingen. Wie man durch Handauflegung heilen könne, so könne dies auch mit der Stimme, dem Klang geschehen. Offenheit zu dem, was wir empfangen können, gehört dazu, damit sich eine höhere Absicht im Ton realisiert. So könne man singen für sich, für andere, für die Natur, für Landschaften, ... was auch immer. Noch stärker könnten die Heilgesänge in der Gruppe sein.
Jeweils zu zweien singen wir im Raum je füreinander, nachdem wir uns vorher gegenseitig ein Problem erklärt haben: den Punkt, der Heilung braucht. Ich erkläre als meine Problem, dass ich das Singen vernachlässige, dass ich oft blockiert sei, der oft gespürten Freude am Singen freien Lauf zu lassen und auch Raum dazu im Alltag zu reservieren. Meine Partnerin singt am Anfang herb und dumpf, sie hätte da mit Disharmonien zu kämpfen gehabt. Dann aber findet sie zu einem öffnenden Bogen voller Zuwendung und Licht, ... der mir Blockaden lösst …
Den eigenen Namen auf der Klangliege vernehmen
Am Schluss können alle die Klangliege erfahren. Jemand spielt die Saiten unten am Instrument, die alle gleich gestimmt sind. Zu diesem Grundton improvisieren die andern mit dem Namen der Person auf der Klangliege. In dieser Entspannung seinen eigenen Namen in allen Varianten aus dem Klangteppich der Stimmen heraus zu hören, löst bei allen angenehme und tiefe Erfahrungen aus.
Persönliche Impressionen und Gedanken im Rückblick
Ich erlebte den Kurs in vieler Hinsicht anregend. Fürs erste beeindruckte mich der Ort und die Gestaltung des ganzen Umfelds - das soll auch durch die oben eingestreuten Bilder deutlich werden. Wenn zwei Menschen harmonieren, sich lieben, und gemeinsam ein Ziel verfolgen – offen und geduldig, so kann ein Segen wirken, welcher in der äusserlichen Gestaltung, der Atmosphäre und dem Geist der Gemeinschaft erfahrbar wird. Das gilt für jeden Haushalt, jedes Bildungshaus.
Dann ist da diese «neue Religiosität», die ich bei immer mehr Menschen erlebe. Während sich die Kirchen in vielem an das Weltbild der säkularen Moderne anlehnen und im Bezug auf die Wirkkräfte des Himmels dogmatisch sprechen, sprachlos sind oder wenigstens zurückhaltend, so wird in diesen vielen kleinen Gruppen und Weggemeinschaften in neuer Sprache tastend der Himmel in seiner Grösse und Fülle behaftet: Die Hilfsmittel dazu stammen aus allen möglichen alten Kulturen und Religionen, von neuen Lehrerinnen da und dort, von eigener Lektüre und eigenen Erfahrungen und Experimenten.
Lange hat die Kirche diese Strömungen eher kritisch bis stiefmütterlich behandelt. Man ist mit sich bechäftigt. In der Tat war auch die Kirche und teils sogar das Christentum in diesen Szenen oft ein Feindbild. Das hat sich aber geändert oder ändert sich. Man ist offen, hat Respekt, findet all die Traditionen, Praktiken und Lehren auch in der Tradition des Christentums bestätigt oder sogar ausgebildet. Als «Kirchenmann» möchte ich da weiter vermittelnd dazwischen gehen und beobachten, was daraus werden kann. Nach dem Kurs in Ganterschwil habe ich das Projekt: Gesangsimprovisation und Liturgie (es heisst noch Singabende) weiter angedacht und bereits auch mit Pfarrer Hansruedi Felix von der Kirche St. Laurenzen darüber gesprochen >>> Singabende.
Für mich selber und mein Singen habe ich Anregungen mitgenommen. Ich habe heute auf meinem Spaziergang die Vokale deutlich orten können in meinem Körper. Die Theorie dazu ist spannend. Sabina hat uns Andeutungen gemacht, die mich motivieren, auch mehr darüber zu lesen. Wesentlich aber ist die Praxis, das eigene Erfahren, Ausprobieren, Lauschen und Tun. (5.3.2008)
|